Wer ist die "Neue Rechte"? – DW – 08.07.2021 (2024)

Es ist nur ein kleines Unterkapitel im vor wenigen Wochen veröffentlichtenVerfassungsschutzbericht 2020: In dem 420 Seiten starken Dokument befassen sich zwölf mit den "rechtsextremistischen Akteuren der Neuen Rechten". Es ist das erste Mal, dass der Bundesverfassungsschutz (BfV) diese Kategorie gesondert aufschreibt. Laut dem Inlandsgeheimdienst geht es um "informelle Netzwerke" von Einzelpersonen und Organisationen, die keine gewalttätigen Anschläge organisieren, sondern eine "Kulturrevolution" von Rechts anstoßen wollen, die die deutsche Verfassung bedroht.

Anders als der Name vermuten lässt, ist der Begriff "Neue Rechte" gar nicht so neu: Erstmals wurde damit in Frankreich eine Gegenbewegung zu den linken Studentenprotesten der 1960er-Jahre beschrieben. Heute benennt er eine Strömung innerhalb des rechten Spektrums, das eine Brücke zwischen Rechtsextremismus und demokratischer Legitimität schlagen will.

Subtil und strategisch

Laut BfV definiert sich die Neue Rechte über ihre Subtilität: "Rechtsextremistische Bezüge sind nicht immer offensichtlich. Diese ergeben sich aber häufig aus Verstößen gegen das Menschenwürde-, Rechtsstaats- und Demokratieprinzip in unterschiedlicher Ausformung", heißt es im Bericht.

Axel Salheiser, der den Rechercheschwerpunkt Rechtsextremismus am Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ) Jena leitet, begrüßt die Aufnahme des neuen Kapitels. "Das waren auf jeden Fall bisher blinde Flecken für den Verfassungsschutz", sagter im DW-Interview. "Wir sprechen über einen Graubereich zwischen der bürgerlichen Mitte und den äußersten rechtsextremistischen Rändern, und das zeigt, dass die für den Staatsschutz relevanten Kategorien auf die Probe gestellt werden."

Laut Salheiser wird die Neue Rechte charakterisiert durch ihre bewusste Strategie, sich selbst als patriotische und konservative Angehörige der Mittelschicht darzustellen, während sie gleichzeitig "radikal anti-demokratische, ethnisch-rassistische und antiliberale Positionen" voranbringe. Viel Raum nimmt dabei die Verschwörungsideologie vom "Großen Austausch" ein - wonach eine mächtige, verborgene westliche Eliteangeblich versuche, Weiße durch Migranten aus Afrika und dem Nahen Osten zu ersetzen.

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Doch welche Organisationen hat das BfV in seiner neuen Kategorie erwähnt, und wofür stehen sie? Keine von ihnen ist bislang verboten oder auch nur unter geheimdienstliche Überwachung gestellt worden. Sie werden überwiegend als "Verdachtsfälle" geführt - und tauchen bis auf eine Ausnahme zum ersten Mal in Verfassungsschutzberichten auf: Einzig die Identitäre Bewegung Deutschland (IDB) wird zum wiederholten Male erwähnt und als "gesichert rechtsextrem" eingestuft.

Die Identitäre Bewegung

Bei der Identitären Bewegunghandelt es sich um eine europaweit tätige rechtsextreme Organisation, die sich selbst im vergangenen Jahrzehnt einen Namen gemacht hat mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen wie Flashmobs, die speziell junge Menschen mobilisieren sollten.

Laut BfV zählte die IBD 2020 etwa 575 Mitglieder, während die Organisation selbst auf ihrer Webseite von 300 Aktivisten sowie 1000 Unterstützenden spricht. Doch ihr Einfluss reicht weiter, und die IBD prahlt online damit, wie sie "den Widerstand professionalisiert": Sie hat Untergruppen in allen 16 deutschen Bundesländern, eine Medienagentur, eine Finanzberatung, einen Online-Fanshop und sogar ein eigenes Craft-Bier.

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In ihrem "Theorieblog" wird das Leitprinzip der Bewegung dargelegt: "Ethnopluralismus" - also die Idee, dass alle Nationen ihre jeweilige "kulturelle Identität" bewahren und Einwanderung eindämmen sollen. Das BfV nennt diese biologische Definition einer nationalen Identität einen "Verstoß gegen den Kern des Demokratieprinzips".

COMPACT

COMPACT hat sich seit seiner Gründung 2010 als meistgelesene Marke der neurechten Medienlandschaft etabliert. Das monatliche Printmagazin der Redaktion um den Publizisten Jürgen Elsässer hat laut Verlag eine Auflage von 40.000 Exemplaren und ist in vielen Zeitungsläden in deutschen Bahnhöfen und Innenstädten erhältlich. Darüber hinaus betreibt der Verlag die Webseite COMPACT online und den YouTube-Kanal COMPACT TV.

Ein Blick auf die Überschriften zeigt, dass die Artikel unverfroren einseitig sind: Die missglückte Greenpeace-Aktion vor dem EM-Fußballspiel Deutschland gegen Frankreich, bei derein Aktivist auf dem Rasen der Münchener Arena notlanden musste und zwei Menschen verletzte, wird bei COMPACT als "Öko-Terror" beschrieben. Ein anderer Artikel von Juni 2021 wiederholt die unbelegte Falschbehauptung, Donald Trump sei durch Wahlmanipulation um seine Wiederwahl gebrachtworden, und spekuliert darüber, wie er zurück ins Weiße Haus kommen könnte.

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Die Aufmerksamkeit des Verfassungsschutzes hat jedoch die Agitation gegen das politische System Deutschlands und dessen Institutionen - vor allem die Bundesregierung - geweckt. Dies geschehe "unter Einsatz einer Widerstands- und Revolutionsrhetorik". Das BfV zitiert aus einem Aufruf Elsässers zur Demonstration von "Querdenkern" und Corona-Leugnern in Berlin am 29. August 2020: Jetzt seidie Chance da, "das Merkel-Regime zu stürzen". Der "Wind der Veränderung" wehe wie im Herbst 1989 - eine Anspielung auf die friedliche Revolution, die den Zusammenbruch der DDR besiegelte. Die Berliner Demonstration endete mit teils verbotenen rechtsextremen Symbolen auf den Treppen des Reichstagsgebäudes.

Das BfV schreibt auch über die Verbindungen zwischen COMPACT und prominenten rechtsextremen Politikern wie dem Thüringer AfD-Politiker Björn Höcke, aber auch der IBD. Beide genießen positive Berichterstattung durch das Magazin.

Ein Prozent e.V.

Die Gruppe "Ein Prozent" besteht seit 2015 und unterhält enge Verbindungen mit der IBD. Sie beschreibt sich als "professionelle Widerstandsplattform für deutsche Interessen". Der Name bezieht sich auf die Annahme der Gruppe, dass die Unterstützung durch ein Prozent der deutschen Bevölkerung (rund 830.000 Personen) ausreichen würde, um die öffentliche Meinung zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Der Verein zählt laut eigenen Angaben derzeit 52.000 Mitglieder. Wie andere neurechte Gruppierungen setzt auch "Ein Prozent" auf professionelle digitale Vermarktung, Netzwerke und Medien.

Zu den auf der Webseite gelisteten Projekten zählt ein YouTube-Kanal, ein Podcast (zu Gast waren unter anderem Björn Höcke und der jüngst zum Chef der Freiheitlichen Partei Österreichs gewählte Herbert Kickl) sowie einige Projekte mit rechten Musikern, darunter ein unabhängig produziertes und vertriebenes Rock-Album und ein Comic. Ein Prozent sucht Freiwillige als "Wahlbeobachter" - nachdem bei den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt Anfang Juni die AfD schlechter abschnitt als zuvor in mehreren Umfragen.

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Wie andere neurechte Gruppierungen sieht auch Ein Prozent "Masseneinwanderung", insbesondere aus muslimisch geprägten Ländern, als größte Bedrohung für die deutsche Gesellschaft an. Das BfV beschreibt die Haltung als "demütigende Ungleichbehaltung", die mit dem Artikel 1, Absatz 1 des Grundgesetzes - "Die Würde des Menschen ist unantastbar" - unvereinbar sei.

Institut für Staatspolitik (IfS)

Im Alter von 30 Jahren gründete der Autor und Aktivist Götz Kubitschek im Jahr 2000 das Institut für Staatspolitik als rechtsextreme intellektuelle Denkfabrik. Seitdem hat er sich als Leitfigur der Neuen Rechten etabliert: Er spielte eine Rolle bei der Gründung sowohl von Ein Prozent als auch der IBD und steht in engem Austausch mit Björn Höcke. Kubitschek trat 2015 und 2016 auch mehrfach als Redner bei den islamfeindlichen Pegida-Demos in Dresden auf. Das IfS publiziert unter anderem die Zeitschrift "Sezession" mit angeschlossener Online-Ausgabe.

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Das IfS ist in Kubitscheks Wahlheimat Schnellroda angesiedelt, einem kleinen Dorf im ostdeutschen Bundesland Sachsen-Anhalt. Durch das Wirken des IfS wurde Schnellroda zu einem zentralen Ort der neurechten Szene, unter anderem richtet der Thinktank sogenannte "Akademien" aus, bei der auch immer wieder Mitglieder des offiziell aufgelösten AfD-Netzwerks "Flügel" zugegen waren. Die inoffizielle Gruppierung innerhalb der Alternative für Deutschland war zuvor vom Verfassungsschutz als "gesichert rechtsextremistisch" eingestuft worden.

Das IfS begreift sich selbst als Korrektiv zu einem angeblichen Linksruck der deutschen Politik und glaubt dass traditionelle konservative Parteien wie die CDU und die FDP sich zum Multikulturalismus bekennen würden. "Unsere Bildungsarbeit orientiert sich an einem Maßstab: dem Erhalt des deutschen Staates", heißt es auf der IfS-Webseite. Ohne "nationale Identität" werde es für Deutschland keine Zukunft geben.

Aus Sicht des Verfassungsschutzes ist die Ideologie des IfS, die ethnischen Minderheiten ihren Anteil an einer nationalen Identität abspricht, eine Verletzung des im Grundgesetz verbrieften Gleichheitsgrundsatzes.

Adaptiert aus dem Englischen von David Ehl.

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